Wandert der befliessene Naturliebhaber vom dunklen Boden zum Oberdorf, wird er diese Stelle passieren: den Weg aus dem Wald bei der Donnertrommel. Dabei eröffnet sich ein atemraubendes Panorama. Der Blick auf Schafberg und Gulmen.
Es hat etwas
Eigenes, den Flug des Schmetterlings in freier Natur zu beobachten. Sich Zeit
zu nehmen, zu sehen, wohin denn seine Reise gehen könnte. Das unbeschwerte
Geflatter widerspricht jeglicher Logik. Es ist mit keiner anderen Flugart
vergleichbar. Selbst der Spatz, wenn er
auch kein eleganter Segler ist, flattert sich gerade vorwärts. Der
Schmetterling aber fliegt mal links, mal rechts, mal nach oben und mal nach
unten.
Er bewegt sich
nicht entlang einer Linie.
Er berührt diese
höchstens, lässt seinen Flug aber nicht von ihr begradigen. Mit seinem lockeren
Wesen verschafft er sich Freiheit und erfreut den Betrachter.
Auch die
Generation nach dem zweiten Weltkrieg hat die gerade Linie verlassen. Die populäre
Musik der sechziger hat einen unorthodoxen Stil angeschlagen. Laute Beats,
wummernde Basslines und rauchige Rhymes. Kilometer weit hat sich ein Song aus
den Sechzigern von der geraden Linie entfernt, um gegen den herrschenden
Mainstream anzusingen:
Born to be
wild.
Eine ganze
langhaarige und ungewaschene Generation mit weiten Hosenstössen und blumigen
Hemden hatte ein Hymne.
Was bitte schön?
Oder wie? Wie kann ich wild sein, in diesem Leben hier. Das ganze Leben zielt
darauf ab, ein fähiges Glied in der Marktwirtschaft zu sein. Eine Abweichung
liegt da nicht drin. Wie kann ich etwas tun, das meinem eigenen Leben Freiheit
verschafft?
Die Hippies der
sechziger Jahre
hatten die Linie verlassen. Sie hatten nicht vor, sich direkt und geradeaus zu
bewegen. Darin eingebunden war eine kleine Minderheit. Es war auch die Zeit der
Jesus People in Amerika. Während die Blumenkinder einfach nur das strenge
Korsett der Gesellschaft abstreiften, wollten die Jesusjünger mehr. Sie
kümmerten sich um ein neues Leben mit christlichen Werten. In der Schweiz
hatten wir in den siebzigern die New Life Bewegung. Gestartet unter Drogenabhängigen
in Zürich. (Man lese: Der Tod eines Gurus)
Schliesslich ist
auch die Reformation der traditionellen Kirche im 16. Jahrhundert
eine Bewegung, die sich nicht an die gerade Linie gehalten hat. Kirchen wurden
gesäubert. Die Botschaft der Bibel wieder gepredigt. Zwingli forderte Glauben
aufgrund der Predigt. Das katholische Sakrament war gefallen. Es entstand die
reformierte Kirche. Nicht nur das. Es gab noch freiheitlicheres Geflatter: die
Wiedertäufer. Das 16.Jahrhundert birgt auch den Kern der Glaubensfreiheit. Es
entstanden die ersten Freikirchen.
Und so möchte ich
als postmoderner Mensch die Frage stellen: „Wo könnte ich wieder die
gerade Linie durchbrechen. Was täte mir gut, wo könnte ich den Mainstream
verlassen? Neben der Linie fliegen, wie
es der Pipolder macht. Vielleicht ist der Blick in die eigene Vergangenheit gut.
Welcher Zeitgeist, welche Bewegung hat mich am meisten geprägt? Habe ich auch
mal begonnen, neben der Linie zu tanzen? Und hat mich schon lange wieder der
breite Sog des Mainstreams im Griff?
So ist vielleicht
nicht alles in der Jugend Begonnene mit schlechtem Ziel behaftet. Vielleicht
bin ich ein Konsum-Kind, oder ein Gottes-Kind; ein Hippie- oder ein Bürgerkind,
vielleicht ein Zuschnitt der Siebziger oder Achtziger; ein Arbeiter- oder Elitekind.
Als Schwendiseewart
blicke ich den fünften Sommer von der Naturstrasse zum dunklen Boden über die
Moorseen. Oder bei der Donnertrommel über die Weide zum Gulmen. Um zu
beobachten, was der Falter anders macht. Oder die Jodler, die bald ins
Klanghaus ziehen.
Ich entscheide
über den Weg, den ich gehe, arbeite ohne Plan, gehe kapriolenartig vorwärts, die
Natur vor Augen, die ich verwalten soll, ohne sie zu beherrschen.
Ich bringe das
Holz, verräume den Güsel, repariere die Instrumente, rede mit den Leuten. So
wirke ich ein wenig der stetigen Profitorientierung entgegen. Immer vor Augen,
das Wunder des Schwendisees und: die Bewahrung der Schöpfung.